Des McConaghy:

 

DIE FINANZIERUNG VON STADTERNEUERUNG UND GEMEINDEN IN GROSSBRITANNIEN

 

Internationales Symposium des

Instituts für Städtebau und Wohnungswesen der

Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung

Landshut / Deutschland 1991

 

 

Ich bin sehr dankbar für die Einladung zu Ihrem Symposium und für die Möglichkeit, ein so wichtiges Thema zu erörtern. Heute vormittag gebe ich Ihnen einen Überblick über die Finanzierung und Struktur der einzelnen Organisationen und Maßnahmen für die Stadterneuerung in GB. Vielleicht ist auch ein Vergleich mit Ihrem stärker korporativ strukturierten System nützlich, besonders während der mühevollen Zeit des Zusammenwachsens im vereinigten Deutschland. Die Lage in GB ist ganz sicherlich kompliziert, denn obwohl unsere Gemeinden weiterhin eine wichtige Rolle spielen, so kommt doch das Geld für die Kommunen in erster Linie von den zuständigen Regierungsministerien oder den zahlreichen, ihnen untergeordneten Behörden und Organisationen. Und das bedeutet, dass die Rechenschaftspflicht auf Gemeindeebene immer mehr zerstückelt wird, bis sie schließlich ganz verschwindet.

 

 

MITSPRACHE: KOMMUNALE INITIATIVE GEGEN ZENTRALE KONTROLLE

 

Es ist gut, dies gleich zu Anfang zu betonen, denn wir müssen vorrangig Wege finden, um die Mitsprache der Bürger und somit die Rolle ihrer demokratisch gewählten Kommunalregierungen zu stärken. Mit dieser Aufgabe stehen wir in GB keineswegs allein da, und sie ist alles andere als einfach. Vielleicht ist dies eine der schwierigsten Fragen: wie kann die Regierung eines Staates örtlichen Initiativen und den Forderungen sehr verschiedengearteter Kommunen gerecht werden und gleichzeitig notgedrungenermaßen ihre zentrale Aufgabe wirksam erfüllen?

 

Niemand kann im Ernst behaupten, wir in GB hätten das im rechten Lot. Im vergangenen Monat wurden einige unserer Städte wieder einmal von Straßenkrawallen heimgesucht. Keiner davon hatte das Ausmaß der Krawalle von 1981 in Liverpool und London. Aber sie riefen doch nachdrücklich wieder ins Gedächtnis, wie abgrundtief die Entfernung ist zwischen Regierenden und Regierten, und wie schwer gestört das Verhältnis zwischen Zentrum und Kommunen; und sie zeigten erneut, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Kommunen explodieren, wenn ihre Bürger sich wirtschaftlich und politisch ausgeschlossen fühlen.

 

Die aufsässigen Kommunen sind die, in denen Massenarbeitslosigkeit herrscht. Dort wo die Krawalle im letzten Monat stattfanden, beträgt die Arbeitslosigkeit der Männer 30%, bei den 18- bis 24-jährigen liegt sie noch weit höher. Aber auch in GB insgesamt ist die Arbeitslosigkeit weiter im Anstieg; ebenso hat auch die Kriminalität im letzten Jahrzehnt um mehr als das Doppelte zugenommen. Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass Frau Thatcher in demselben Jahrzehnt die freie Marktwirtschaft zur herrschenden Ideologie erhob. Aber bestimmt ist es kein Zufall, dass dasselbe Jahrzehnt in GB eine massive Zentralisierung der staatlichen Macht gebracht hat und damit einhergehend auch eine Abwertung der Verfassungsnormen in der politischen Praxis.

 

 

UNÄHNLICHE VERFASSUNGEN?

 

Natürlich ist Deutschland das "Musterbeispiel" einer florierenden liberalen Demokratie. Und gewiss garantiert Ihre Bundesverfassung, das Grundgesetz, allem Anschein nach eine dezentralisierte Regierung. Demgegenüber ist GB immer schon ein hoch zentralisierter Einheitsstaat gewesen, ohne ein klar geordnetes System von Regionalregierungen, ohne garantierte Machtbefugnisse für kommunale Institutionen und vor allem ohne eine geschriebene Verfassung. Direkte Vergleiche zwischen Deutschland und GB können daher irreführen.

 

Und doch hat auch in Deutschland lange vor der Vereinigung eine Machtverschiebung stattgefunden, von den Gemeinden hin zu den Ländern und von den Ländern zur Bundesregierung.[1] Augenblicklich lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen, ob die Finanzmechanismen des deutschen demokratischen Föderalismus, mit denen Ihre alten Bundesländer im Ganzen so gut gefahren sind, die weit größeren Ungleichheiten im vereinigten Deutschlands unbeschadet überleben werden (Deutsche Währungsunion - GEMU). Wenn nicht, können sie angepasst werden? Und können solche Anpassungsverfahren ausgeweitet werden (wie Spanien es zur Zeit in den zwischenstaatlichen Verhandlungen in Brüssel vorschlägt), um mit den noch weiter greifenden regionalen Ungleichheiten fertigzuwerden, wie sie die Europäische Währungsunion (EMU) notwendig zur Folge haben muss?

 

Diese deutschen Fragen - und deutschen Haushaltsbeschlüsse sowie die Umklammerung durch den European Exchange Rate Mechanism (ERM), die "Währungsschlange" - sind ausschlaggebend für die künftigen politischen Kriterien bei der Ressourcenverteilung innerhalb der EG und damit für alle unsere Programme zur Erneuerung von Regionen und Städten.

 

Britische Städteplaner haben bislang wenig Interesse daran bekundet, wie solche öffentlichen Mittel strukturiert werden und welche entscheidende Bedeutung ihnen zukommt. Und dennoch: Geld ausgeben heißt: eine Wahl treffen; alles andere ist mehr oder minder rhetorisches Gerede. Ich zitiere einen wichtigen Punkt aus Heclo und Wildavskys einschlägigem Buch zur britischen Verwaltung:

 

Geld spricht: es legt Zeugnis ab über die Ziele von Menschen und Völkern ...

... Gewiss ist - abgesehen von Kriegen - wenig von dem, was ein Staat tut, wichtiger als die fortwährende Inanspruchnahme der Arbeit und des Reichtums eines Volkes. Die verborgene Politik der öffentlichen Ausgaben bietet ein Fenster, das einen einzigartigen Einblick gewährt in die Wirklichkeit der politischen Verwaltung in GB.[2]

 

Ich würde hinzusetzen, "in die Wirklichkeit JEDER politischen Verwaltung". Aber genau deswegen ist es oft so schwierig, das Fenster zu öffnen - und in puncto Geheimhaltung liegt GB an der Spitze der europäischen Länder. Zur Zeit lässt sich allerdings schwer der Eindruck vermeiden, dass das Problem einer ähnlichen Verdunkelungsgefahr in Deutschland immer größer wird, trotz (oder vielleicht wegen) Ihrer Verfassungsgarantien.

 

 

KOORDINATION DER MASSNAHMEN ZUR STADTERNEUERUNG

 

Zu Ihrer genaueren Information finden Sie im Anhang zu diesem Vortrag eine Übersicht über die wichtigsten Geldmittel, die englischen Gemeinden und anderen Organisationen für Stadterneuerung zur Verfügung stehen. Den Rahmen dafür bildet eine Vielzahl von Finanz-, Wohnungsbau-, Gemeinde- und Planungsgesetzen, insbesondere auch für die inneren Stadtgebiete, die sämtlichst auf höchst unterschiedliche Weise finanziert und angewendet werden. Wir können hier nur auf ein paar wenige davon eingehen, doch können Sie gern während des Symposiums oder auch brieflich danach nähere Einzelheiten erfragen.. Außerdem finden Sie im Anhang auch einen kurzen Absatz über das zentrale Planungssystem des britischen Finanzministeriums (Schatzamtes), dem alles untergeordnet ist. Dieses Haushaltsverfahren bedeutet, dass das Regierungssystem in unserem Land das zentralisierteste in Europa ist.

 

Deshalb möchte ich die Kollegen aus den neuen Bundesländern warnen, dass wir Briten zwar viel von "kommunaler Demokratie" reden - besonders auch in unseren Ratschlägen für Osteuropa! - , dass unsere Zentralregierung jedoch genau das macht, was sie will. Darüberhinaus ist Westminster dafür berüchtigt, dass es dort keine parlamentarische Kontrolle über die Staatsausgaben gibt.

 

Dasselbe gilt auch auf Gemeindeebene. Wie die beigefügten Statistiken zeigen, betragen die kommunalen Ausgaben zwar ein Viertel aller öffentlichen Bruttoausgaben, doch können die Kommunen bloß 10 bis 15% ihrer Haushalte selbst aufbringen und entscheiden. Doch selbst das täuscht: Denn tatsächlich bestimmt die Zentralregierung jeden Gemeindehaushalt durch ein System progressiver Finanzstrafen oder einfach durch Erlasse. Alle Städte, in denen es im letzten Monat Krawalle gab, waren zu Sparmaßnahmen gezwungen worden, nachdem ihre Haushalte beschnitten ("capped") worden waren. Das bedeutet also, die Zentralregierung setzte ihre Haushalte fest.

 

Die beigefügten Statistiken zeigen auch die direkten staatlichen Ausgaben für die öffentlichen Dienste, welche für die städtische Infrastruktur und Stadterneuerung entscheidend sind: Stadtentwicklungsgesellschaften (UDCs), Wohnbaugenossenschaften, Berufsausbildung und Hochschulwesen, Einkommensbeihilfe und Gesundheitsdienste. Wenn die Haushalte aller dieser lebenswichtigen Schlüsseldienste zusammen mit in den Gemeindetopf geworfen werden, dann sinkt der Anteil der von gewählten Gemeindevertretern beschlossenen Haushalte bis auf nur 3% der Gesamtausgaben. Zentral gesteuerte Instanzen finanzieren mithin bis zu 97% dessen, was auf Gemeindeebene geschieht.

 

Offensichtlich sollten die Kommunen bei den sie betreffenden Maßnahmen zur Stadterneuerung eine wichtigere Rolle spielen und einige von ihnen sind auch bemüht, dies zu tun. Aber dabei haben sie es - ganz praktisch gesehen - mit einer verwirrenden Vielfalt von zentralstaatlich gelenkten Organisationen zu tun, deren Haushaltsführung hinter einem undurchdringlichen "Dunstschleier" verborgen bleibt. Niemand, und das schließt die Regierung und ihre Ministerien ein, kann sagen, was alles wirklich diesbezüglich innerhalb eines Gebietes passiert oder ob sich in alledem eine zusammenhängende politische Linie erkennen lässt. Die Gemeinden selber haben nicht die Mittel, um die gesamten öffentlichen Ausgaben in ihrem Gebiet im Einzelnen verfolgen zu können, und die Ministerien zögern oft und weigern sich manchmal sogar rundweg, Einzelheiten über die von ihnen geleiteten öffentlichen Programme zu veröffentlichen. Frau Thatchers Minister für innere Stadtgebiete wurde einmal auf einer Tagung des Unternehmerverbandes (CBI) wegen Mangels an Koordination kritisiert und meinte nur, er kenne das Problem, jedoch solle man sich doch vor solch "geistloser Rationalität" [sic!] hüten![3]

 

 

BETEILIGUNG DER PRIVATWIRTSCHAFT

 

Was der Minister damit wirklich zum Ausdruck bringen wollte, war natürlich die passive "Hände weg!"-Haltung der Regierung, verbunden mit einer Strategie, die sich am Markt orientiert. Mit Recht sind sich jetzt alle unsere öffentlichen Institutionen der Notwendigkeit bewusst, Privatinvestitionen zu fördern. Wer in den 60er Jahren mit britischen neuen Städten ("new towns") zu tun hatte, wird sich an Entwicklungen erinnern, ja sogar ganze neue Städte, die man gut der Privatwirtschaft hätte überlassen oder mit ihr gemeinsam auf partnerschaftlicher Basis hätte leiten können.

 

Chancen wie sie die geplante neue Computerstadt bei Magdeburg bieten, sind sehr aufregend, und die Privatwirtschaft wird sich kaum lange bitten lassen, auf industriellem Neuland in so günstiger geographischer Lage zu investieren. Ebenso nutzten unsere besten neuen Städte natürliche Wachstumsmöglichkeiten. Jedoch lockten sie die jüngeren und beweglicheren Arbeitskräfte aus den vorhandenen Wirtschaftszentren weg und trugen wahrscheinlich so dazu bei, dass sich die Lage in den älteren Städten verschlechterte.

 

Liverpool besitzt den zweifelhaften Ruhm, eine der ärmsten Städte Europas zu sein. Nach den Krawallen von 1981 füllte der Umweltminister Heseltine die Stadt mit Experten aus unseren großen Finanzhäusern. Aber all dies geistige Kapital verzog sich sehr rasch, als sie merkten dass man über arme Gebiete und arme Leute eines mit Sicherheit sagen kann, nämlich dass sie nicht viel Geld haben! Zum Beispiel lässt sich weder jetzt noch in Zukunft aus dem Bau guter Wohnungen für arme Leute Profit herausschlagen.

 

Ich habe kein einheitliches Bild darüber, was in letzter Zeit in diesem Bereich geschehen ist. In der Aufstellung im Anhang finden sich z.B. die 50 Millionen Pfund "Stadtzuweisungen" ("City Grant") von 1991, welche direkt an private Bauunternehmer ausgezahlt wurden für städtische Projekte, die als unrentabel galten. Vor kurzem sind diese an die Stelle getreten von ähnlichen Zuweisungen für Stadtentwicklung ("Urban Development Grant"), nachdem der nationale Rechnungshof beanstandet hatte, dass staatliche Gelder hauptsächlich in zwei Städte geflossen seien, eine davon Birmingham, und für Projekte, die auch ohne solche Zuweisungen rentabel gewesen wären und obendrein wenig neue Stellen geschaffen hätten.[4]

 

Heseltine erwartet jetzt, dass sich die Städte im Wettbewerb miteinander um begrenzte Mittel bewerben. In seiner "Herausforderung der Städte" ("City Challenge") gibt es Preise für die phantasievollsten Projekte, in denen Privatwirtschaft und öffentliche Hand gemeinsam fungieren. In diesem Jahr hat Liverpool diesen Wettbewerb gewonnen, und das Ganze hat durch den Wettbewerb an Würze gewonnen. Neu dabei ist auch die Förderung einer besser durchdachten Beteiligung der Kommunen und die Koordination vor Ort, selbst wenn die zentralen Instanzen, welche die Zuweisungen veranlassen, genauso unkoordiniert arbeiten wie eh und je.

 

 

RESSOURCENPLANUNG

 

Die wichtigste Lektion aus GB besteht somit darin, dass es einen Rahmen geben muss, in dem gemeinschaftliche Diskussionen zwischen den Ministerien und den darunter befindlichen staatlichen Ebenen stattfinden können. Das zentrale Planungssystem unseres Finanzministeriums besteht in einer von oben herab festgelegten, nicht raumbedingten Haushaltssumme, bei der territorialbedingte Erwägungen keine ersichtliche Rolle spielen.

 

Das heißt also, dass unsere zentrale Planung über keinerlei systematisches Feedback verfügt, weder von den Kommunen noch von der Finanz, weder von Arbeitsgebern noch von Arbeitnehmern; in dramatischem Gegensatz zu Ihrem deutschen Konsensmodell, einem Modell, das Frau Thatcher als korporativ und bürokratisch verurteilte.

 

Was es auch ist! Die Rolle, die Ihr Konjunkturrat und Ihr Finanzplanungsrat bei der Koordination aller öffentlichen Haushalte spielen, ist tatsächlich korporativ. Aber gewiss stärkt sie den breiteren Konsens und wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland. Man kann nicht gleichzeitig "kommunale Autonomie" und "Partnerschaft" haben: das eine schließt das andere aus.

 

Nur als ein Beispiel: als ich jetzt hier nach Bayern kam, in das reiche Herz Europas, stellte ich fest, dass die bayerische Landesregierung gerade neue Anordnungen getroffen hat, um mehr Kontrolle über die kommunalen Haushalte ausüben zu können. Ein höherer Beamter im bayerischen Innenministerium sagte dazu einmal gesprächsweise zu mir: "In diesem Punkt ist jeder verpflichtet, sich zu beschweren." Man kann in der Tat in den EG-Ländern einen allgemeinen Trend beobachten, demzufolge die Finanzminister - trotz allen Redens von Dezentralisierung - Mittel und Wege finden, um auf die eine oder andere Weise ihre zentrale Kontrolle durchzusetzen.

 

Deshalb ist es ein bloßes Ablenkungsmanöver, wenn neue Quellen für Kommunalsteuern gesucht werden; wie z.B. Frau Thatchers katastrophale "Kopfsteuer" (poll tax). Die große Vielfalt der derzeitigen Steuersysteme in Europa stellt in sich selbst ein Beweis dafür dar, wie schwierig es ist, faire und wirksame Kommunalsteuern zu schaffen. Zum Teil liegt das daran, dass die politische Wirtschaft der Kommunen so vollständig mit der Zentralregierung verflochten ist und von ihr bestimmt wird, dass fast alle Beispiele kommunaler Probleme an die Tür der Zentralregierung zurückführen. Der Schlüssel zu einer zeitgemäßen Lösung liegt somit in einer wirksamen Ressourcenplanung, an der Kommunen und Zentralregierung gemeinsam beteiligt sind.

 

 

BEISPIEL: WOHNUNGSWESEN

 

Das Wohnungswesen in GB mag als Beispiel für diese geplante und ungeplante wechselseitige Abhängigkeit herhalten. Kollegen in Deutschland haben GB oft um seinen Anteil an privatem, eigengenutztem Wohneigentum beneidet; in den letzten zehn Jahren ist dieser von 54,7% auf 67,8% angewachsen: unsere "Eigentümer-Demokratie"! Finanziert wird dies so: 9 Mrd. Pfund pro Jahr für Steuervergünstigungen, d.h. Steuerabschreibungen für den Erwerb von eigengenutztem Wohneigentum; 1,5 Mrd. Pfund in diesem Jahr für die zentralstaatliche Wohnungsbaugesellschaft (Housing Corporation), die die örtlichen Wohnungsbaugenossenschaften finanziert; und nurmehr 900 Millionen Pfund für die Kommunen zur Subventionierung ihrer sozialen Mietwohnungen.

 

So ist der Bau neuer kommunaler Mietwohnungen von 250 000 pro Jahr in den siebziger Jahren auf 26 000 1989 zurückgegangen; im kommunalen Wohnungssektor wird heute weniger neu gebaut als in den Zwanzigern. Das Ergebnis: die Obdachlosigkeit hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt.[5] So sind persönliche Sparrücklagen, die in die Industrie hätten investiert werden können, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, stattdessen in einen Wohnungsbestand geflossen, dessen Wert ohnehin längst überschätzt ist. In nur sieben Jahren, von 1982 bis 1989, sind die Wohnungspreise in GB um durchschnittlich 170% angestiegen, was die Lohn- und Gehaltsforderungen inflationär in die Höhe getrieben hat.[6] So ist auch unsere heimische Bauindustrie zusammengebrochen, da es keine kommunalen Wohnungsbauprogramme gibt, die die Baukonjunktur ankurbeln könnten. Und die Arbeitslosen können nicht anderweitig Arbeit suchen, da es an billigen Mietwohnungen fehlt, und so weiter.

 

Die Wirtschaftspolitik ist somit die Grundvoraussetzung zur Verbesserung der Umwelt: sie verdient den Vorrang! Momentan werden infolge der ständig zunehmenden Arbeitslosigkeit an jedem Arbeitstag 280 eigengenutzte Häuser und Wohnungen von Hypothekengläubigern gepfändet. Das bedeutet, dass in diesem Jahr die Flut der Obdachlosen um weitere 260 000 Menschen anschwellen wird; mehr als die Bevölkerung von Derby - bzw. zweimal die von Heidelberg - wird in diesem Jahr ihr Heim verlieren.

 

 

SCHLUSSBEMERKUNG: "SCHÖNWETTER-FÖDERALISMUS"?

 

Abschließend ist zu sagen, dass es in GB keinen objektiven finanziellen Planungsrahmen für die Stadterneuerung gibt, in scharfem Gegensatz zum deutschen Modell der finanzpolitischen Koordination und Ressourcenplanung. In dieser Hinsicht würden wir gern von Ihrem Konsensmodell lernen, besonders auch um zu sehen, wie es jetzt an die neuen Bedingungen mit ihren weit größeren Ungleichheiten angepasst wird.

 

Allerdings: gleicht die Finanzierung der Stadterneuerung in GB einem "Dunstschleier", so sieht die Finanzierung Ihrer neuen Bundesländer eher aus wie "dichter Nebel". Bis jetzt haben wir nur die Haushaltsübersicht eines der neuen Bundesländer gesehen. Aber die hatte wenig gemein mit den Grundsätzen zur Finanzierung der alten Bundesländer; sie sah mehr aus wie ein Rezept zum Bankrott. Natürlich stehen wir mit alledem erst am Anfang. Aber es scheint doch klar, dass sowohl die deutsche als auch die europäische Einigung neue Fragen über die zukünftigen politischen Kriterien der Ressourcenverteilung aufwirft. Der Weg könnte in beiderlei Richtung führen!

 

 

 

 

ANHANG

 

 

FINANZIERUNG DER STADTERNEUERUNG:

ÜBERSICHT

 

Die folgende Aufstellung zeigt die für 1991-92 geplanten Ausgaben für England.[7] Ähnliche Maßnahmen gibt es auch in Schottland, Wales und Nordirland, aber dort weichen sie in einigen wichtigen Punkten ab. In Nordirland z.B. werden fast alle kommunalen Funktionen von der Zentralregierung direkt ausgeübt, oder über von ihr ernannte Organisationen.

 

 

STRUKTUR DER FINANZMITTEL

 

Für Stadterneuerung zuständig sind die Gemeinden zusammen mit Ministerien der Zentralregierung. Kommunale Ausgaben machen ein Viertel des Volumens der gesamten staatlichen Bruttoausgaben aus; dennoch können die Gemeinden nur 10 bis 15% ihres Haushaltes durch eine Kommunalsteuer, die "Kopfsteuer" ("poll tax" oder "Community Charge"), festsetzen.

 

Kommunale Ausgaben insgesamt: 39,82 Mrd
Nettoeinnahmen aus der "Kopfsteuer": 5,93 Mrd

 

Der Staat führt jährlich Ausgabenschätzungen (SSAs) für jede Gemeinde durch. Diese Schätzungen setzen sich aus dreizehn Elementen zusammen, von denen acht bevölkerungsbezogen sind. Die allgemeinen Zuweisungen für die Gemeinden (Revenue Support Grant - RSG) und die staatlich festgelegte Gewerbeeigentumssteuer (NNDR) sollen ein einheitliches kommunales Steuerniveau herstellen, vorausgesetzt, dass die kommunalen Ausgaben innerhalb der staatlichen Schätzungen bleiben.

 

Die Zentralregierung kann also die kommunalen Haushalte im Ganzen direkt festsetzen, oder auch indirekt durch eine Vielzahl von spezifischen und allgemeinen Zuweisungen und durch die Kontrolle der Kreditaufnahme und die Veräußerung öffentlicher Vermögenswerte. Die Gemeinden spielen mithin bei der Stadterneuerung eine wichtige Rolle, doch ist das, was wirklich geschieht, im allgemeinen abhängig von spezifischen Zuweisungen der Regierung und von Direktmaßnahmen einzelner Ministerien und staatlicher Organisationen.

 

Die wichtigsten Ministerien, die ausdrücklich mit Stadterneuerung zu tun haben, sind Umwelt, Arbeit, Verkehr, Handel & Industrie, Erziehung & Wissenschaft, und das Innenministerium, das übergreifende Verantwortung hat für ethnische Minderheiten, Einwanderung und Polizei. Gesundheitswesen und Sozialhilfe werden gleichfalls weiterhin auf nationaler Ebene bereitgestellt, ebenso das öffentliche Hochschulwesen. Jedoch befinden sich Telekommunikation, Energiewirtschaft, Wasserversorgung und Abwässereinrichtungen seit kurzem in privater Hand.

 

 

DIE WICHTIGSTEN ZUWEISUNGEN UND STAATLICHEN AUSGABEN

 

1.1. Steueramt: Steuerausfälle durch Subventionierung von Krediten für eigengenutztes Wohneigentum: £ 7,8 Mrd
 
2.1. Umweltministerium (DOE): Allgemeine Zuweisungen an alle Gemeinden (RSG) - vgl. oben: £ 9,67 Mrd
2.2. DOE Zuweisungen an alle Gmeinden aufgrund der Gewerbeeigentumssteuer (NNDR) - vgl oben: £ 12,4 Mrd
2.3. DOE Kopfsteuerzuweisungen an die Gemeinden: £ 2,74 Mrd
2.4. DOE Extra Kopfsteuerzuweisungen an die Gemeinden: £ 4,83 Mrd
2.5. DOE Zuweisungen an die Gemeinden für Wohneinnahmen: £ 1,15 Mrd
2.6. DOE Mietbeihilfen für Mieter in städtischen Sozialwohnungen: £ 2,34 Mrd
2.7. DOE Mietbeihilfen für Privatmieter: £ 1,65 Mrd
2.8. DOE spezifische Zuweisungen an die Gemeinden: £ 3,97 Mrd
  Davon u.a.:
  (a) Zuweisungen für die Sanierung von Slums: £ 30 Mill
  (b) Zuweisungen für Modernisierung: £ 280 Mill
  (c) Städteprogramm (Urban Programme): 75% Zuweisungen an 57 Gemeinden, die sich beworben haben: £ 130 Mill
  (d) Zuweisungen zur Erschließung ungenuzter Gewerbeflächen an öffentliche Organisationen, Firmen und Einzelpersonen, 50 bis 100% der Erschließungskosten je nach Trägerorganisation (netto): £ 70 Mill
  (e) "City Challenge": ein Wettbewerb über fünf Jahre, an dem 15 Gemeinden sich um einen Anteil an der Gesamtsumme von £ 412,5 Mill bewerben: £ 82 Mill
2.9. DOE "Stadtzuweisungen" ("City Grant"), direkt an private Bauunternehmer zur Vorbereitung und Durchführung sonst nicht rentabler Projekte: £ 50 Mill
2.10. Zuweisungen an die zehn vom Umweltministerium ernannten Stadtentwicklungsgesellschaften (UDCs) in London, Merseyside, Trafford, Black Country, Teeside, Tyne&Wear, Manchester, Leeds, Sheffield und Bristol: £ 430 Mill
2.11. DOE Zuweisungen für die Wohnbaugesellschaft (Housing Corporation). Diese finanziert die Wohnbaugenossenschaften (Housing Associations) die jetzt Hauptträger des neuen sozialen Wohnungsbaus sind: £ 1,45 Mrd
2.12. Auch andere Initiativen des Umweltministeriums erhalten Zuweisungen in verschiedener Form. Beispielsweise ENGLISH HERITAGE (Denkmalsschutz und -pflege), ESTATE ACTION (teils Zuweisungen, aber hauptsächlich Bewilligung von Kreditaufnahmen für Neuansätze in heruntergekommenen städtischen Sozialsiedlungen), HOUSING ACTION TRUSTS oder HATs (für Verbesserungen und Betriebskosten von städtischen Sozialwohnungen, sofern deren Mieter bereit sind, die Kontrolle einer örtlichen Treuhandgesellschaft zu übertragen). Daneben gibt es auch noch eine Reihe von zentral gesteuerten Organisationen zur Koordination bestimmter Maßnahmen: TASK FORCES ("Kampfverbände") und CITY ACTION TEAMS oder CATs (Städtische Einsatzgruppen): £ 153 Mill
2.13. Andere DOE Initiativen, die allerdings keine Zuweisungen erhalten, sind:
  (a) Enterprise Zones: von Kommunalsteuern und Planungsbeschränkungen ausgenommene Gebiete, jetzt zum großen Teil abgeschafft
  (b) Land Registers: Register für ungenutzte oder unterbenutzte Flächen. Das Umweltministerium kann den Verkauf solcher Flächen anordnen
  (c) Simplified Planning Zones: vereinfachte Planungsgebiete; diese sollen die Entwicklung beschleunigen, indem Pläne für bestimmte Entwicklungstypen im voraus genehmigt werden.
 
3.1.  Arbeitsministerium (DE): Zuweisungen an 82 industrielle Ausbildungsräte (Training Enterprise Councils), unter der Leitung der Arbeitgeber: £ 844 Mill
3.2.  DE berufliche Ausbildungsprojekte (Employment Training Schemes): £ 888 Mill
3.3.  DE berufliche Entwicklungsdarlehen (Career Development Loans): £ 5,3 Mill
3.4.  DE "Compacts": 30 innerstädtische Vertragspartnerschaften, davon 4 in Schottland, die die Zusammenarbeit von Schulen und ortsansässigen Firmen fördern: £ 12 Mill
3.5.  DE Projekte, um Kleinbetrieben mit Dienstleistungen und Kreditgarantien zu helfen:
 
4.1.  Verkehrsministerium: Ergänzungszuweisungen an Gemeinden für Straßenbau: £ 318 Mill
 
5.1.  Ministerium für Handel und Industrie (DTI): ENGLISH ESTATES stellt Kleinbetrieben in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft verwaltete Fabrik- und Büroräume zur Verfügung: 1911: Eigenfinanzierung
5.2.  DTI Regionales Hilfsprogramm (Regional Assistance Programme):
  Zuweisungen und Anreize für Kleinbetriebe in 22 der oben (unter 2.8.c)genannten 57 Gebiete des Städteprogramms: £ 255 Mill
5.3.  DTI örtliche "Task Forces": £ 10 Mill
 
6.1.  Ministerium für Erziehung und Wissenschaft (DES): "Compacts" gemeinsam mit dem Arbeitsministerium - siehe oben 3.4.
6.2.  DES Technische Stadtschulen (City Technical Colleges) - ein neuer, gemeindeunabhängiger, dem Ministerium direkt unterstellter Schultyp: £ 12 Mill
 
7.1.  Innenministerium: "Section 11" Zuweisungen für Hilfeleistungen an aus dem Commonwealth stammende Familien: £ 117 Mill

 

 

MITSPRACHE, PLANUNG UND DAS FINANZMINISTERIUM

 

Flächennutzungspläne: Gemeinden stellen für ihre Gebiete Nutzungspläne auf. In Großstadtgebieten sind Gemeinden verantwortlich für "Einheitliche Entwicklungspläne" (UDPs), entsprechend den regionalen Richtlinien des Umweltministeriums. Die Startaufträge zur Vorbereitung solcher Entwicklungspläne sind erteilt worden und man hofft, dass bis 1993  85% davon angenommen sein werden (Cm 1508).

 

Die endgültige Zustimmung des Umweltministers gilt lediglich den Folgen der Flächennutzungspläne. Entwicklungspläne haben keine direkten Auswirkungen auf andere öffentliche Ausgabenpläne.

 

In den verschiedenen Entstehungsstadien eines Entwicklungsplans ist die Öffentlichkeit zur Mitsprache aufgefordert, ebenso in Bezug auf einige Sondervorhaben. Z.B. ist Mitsprache erforderlich bei einigen, aber nicht allen Städteprogrammen (vgl. oben 2.8.c). HATs (2.12) können nicht durchgeführt werden, wenn die Mehrheit der betroffenen Mieter dagegen stimmt. Das hat bis heute alle HATs vereitelt.

 

Die Planung des britischen Finanzministeriums ist ein fortlaufender Haushaltsvorgang ohne ausdrücklichen territorialen Bezug. Das Ergebnis sind bilaterale, "von oben nach unten" geführte Verhandlungen mit anderen Ministerien einschließlich denen, die für Gemeinden und Stadterneuerung zuständig sind. Es besteht also wenig Möglichkeit zu effektiven Vorgesprächen mit kommunalen Spitzenverbänden oder anderen öffentlichen Foren.

 

Die Stadterneuerung in GB bietet demnach trotz eines sehr hohen geldlichen Aufwandes ein verwirrendes Bild: ein finanzpolitisches "Kuddelmuddel". Kein Ministerium und keine Behörde oder andere Organisation hat einen Überblick über all das, was diesbezüglich innerhalb eines Ortes passiert. Andererseits haben die Minister freie Hand, um auf spezifische Probleme direkt und daher auch flexibel und opportunistisch reagieren zu können.

 

Des McConaghy, 25.09.1991

 


 

notes:

 

[1] "Der Verfall der Selbstfinanzierungsquote ist zur traurigen Gewissheit geworden." Richard Klein / Engelbert Münstermann, Gemeindefinanzbericht 1978 . In: Der Städtetag. Januar 1978

[2] Heclo, Wildavsky. The Private Government of Public Money. (Macmillan) 1974

[3] Tony Newton. Aufzeichnung des Autors von der Tagung des Unternehmerverbandes (CBI) vom 24. November 1988

[4] National Audit Office, Report by the Comptroller & Auditor General. Regenerating the Inner Cities. London (HMSO) 24. January 1990

[5] Vor kurzem wurde die britische Wohnungsbaupolitik erneut kritisiert in: Duncan Mclennan, Kenneth Gibb und Alison More. Fairer Subsidies, Faster Growth. 1991 veröffentlicht von der Joseph Rowntree Foundation, York, GB -YO7 6LP

[6] Wer heute zum ersten Mal ein Haus oder eine Wohnung kauft, kann bis zu 40% seines Einkommens für Hypotheken oder Kredite ausgeben. Darüberhinaus benutzten 1987/88 Hauseigentümer fast 25 Mrd. Pfund des Wertes ihrer Wohnung, um damit mehr Konsumausgaben zu finanzieren.

[7] Die Zahlen stammen aus den Ausgabenplänen der Regierung (Government Expenditure Plans - Cm 1520 und Cm 1514), von der AMA (Association of Metropolitan Authorities), vom Institute of Housing und aus Hansard, 23 April 1991, cols. 391-392.

 

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